V E R S U C H Ü B E R
D I E S C H Ö N H E I T
(On Beauty: An Attempt)
20. Januar – 25. Februar 2023
Öffnungszeiten
Di–Fr, 11 Uhr–18 Uhr
Sa, 11 Uhr–15 Uhr
Wir freuen uns sehr, Sie auf die Ausstellung „Versuch über die Schönheit“ in unserer Wiener Galerie aufmerksam machen zu dürfen. Zu sehen sind Werke von Anthony Goicolea, Erez Israeli, Matt Lambert, Maria Loboda, Robert Mapplethorpe, Navot Miller, Peter Miller, Marcel Odenbach, Rosemarie Trockel und Marianne Vlaschits, die sich mit der ästhetischen und sozialen Implikation des „Schönen“ auseinandersetzen.
So lange es Kunst gibt, wohnt ihr das Streben nach Schönheit inne, genau so lange aber hadert sie mit ihr, widersetzt sie sich ihr, lehnt sie sich gegen sie auf, bricht sie mit ihr. Das eine bedingt das andere. Wie jedes Ideal bewahrheitet sich auch das Schönheitsideal im Widerspruch. Aus Hinwendung erwächst Abneigung, der bedingungslosen Hingabe folgt die kategorische Ablehnung — und umgekehrt. Genau dieses ewige Spannungsfeld zwischen der Affirmation und der Negierung des Schönen thematisieren die Werke in der Ausstellung „Versuch über die Schönheit“.
Auch wenn die Techniken und Herangehensweisen der gezeigten Arbeiten höchst unterschiedlich sind, haben sie eines gemeinsam: Sie stellen die Frage nach dem Normativen, der Gültigkeit und dem Wert der Schönheit. Sie befassen sich mit der ganzen Bandbreite von Schönheitssymbolen und Schönheitsentwürfen, ergründen die damit verbundenen Konzepte und beleuchten ihre gesellschaftliche Relevanz.
Ob Blume oder Designklassiker, makelloser Körper oder modisches Accessoire — die verschiedensten Versatzstücke unserer Schönheitsikonographie und Schönheitsgrammatik werden verarbeitet, kontextualisiert, überhöht oder verfremdet. Dabei trifft grelle Repräsentation und (Selbst-)Inszenierung auf Introspektion. Außen und Innen, Abbild und Trugbild verschwimmen. Die Hintergründigkeit des konventionellen Versprechens „Schönheit“ wird in Form von surrealer, lustvoller, ästhetischer Aneignung und Verzerrung offengelegt. Entwürfe und Gegenentwürfe zu bestehenden, lange vorherrschenden Standards und normativen Konzepten tun sich auf.
So führt uns jedes einzelne Werk auf seine ganz eigene Weise vor Augen: Egal was Schönheit ist oder sein will, sie findet nicht im luftleeren Raum statt. Sie ist nicht harmlos, nicht belanglos, nicht machtlos. Sie ist, wie der Kunst- und Architekturpublizist Martin Seidel in seinem „Plädoyer für ein eigensinniges Phänomen“ kürzlich bemerkte, „kein überflüssiges Luxusgut, sondern ein existentielles Bedürfnis und eine grundlegende künstlerische und anthropologische Notwendigkeit“.
Die Wirkungsmacht des Schönen, aber auch ihre Doppeldeutigkeit und Ambiguität, kommt beispielsweise in der gezeigten Arbeit des US-amerikanischen Fotografen Robert Mapplethorpe zum Ausdruck: in einem Bouquet aus Lilien - seit jeher Symbol von Schönheit und Inbegriff einer nutzlosen Pflanze, die ausschließlich der Erbauung dient -versteckt sich eine funkelnde Messerklinge. Mapplethorpe, dessen exzessives Leben von Drogen und sexueller Freizügigkeit geprägt war und der 1989 im Alter von nur 42 Jahren an Aids verstarb, sorgte mit seinen Fotos regelmäßig für Kontroversen. Schauderhaft schön wirkt daher auch sein Lilien-Stillleben, das den nackten Stahl der Klinge in Kontrast zur geöffneten, weißen Blüte setzt.
Diese Faszination greift auch der in Berlin lebende US-amerikanische Fotograf und Filmemacher Matt Lambert auf. Seine ausufernden Darstellungen queerer Underground- und Popkultur zelebrieren Diversität und Sexualität in intimen bis exzessiv-leidenschaftlichen Bildern. Aus der Porno-Szene kommend, arbeitet Lambert sich an Begriffen und Repräsentationen körperlicher Schönheit ab. Einerseits spielt er mit klassischen heteronormativen Inszenierungen, andererseits unterminiert er sie, kriecht in sie hinein, stülpt sie sich über und sprengt sie letzten Endes. Die oft nackten Körper in Lamberts Arbeiten sind weiblich, männlich, queer, jung, alt, dick oder dünn. Sie aalen sich mitunter in ihren eigenen Körpersäften und feiern sich mit vibrierender Lebensfreude.
Nicht minder energiegeladen kommen die Malereien von Navot Miller daher. Doch die Farben, die im ersten Moment schrill und laut erscheinen, kleiden hier leise Motive. Die Figuren und ihre Umgebung werden angedeutet, klare Linien arrangieren sich mit poppiger Flächigkeit. Nackte und konturenhafte Männerkörper strotzen vor neon-farbener Lebendigkeit.
Weniger laut, aber umso eindringlicher präsentieren sich die Arbeiten des kubanisch-amerikanischen Künstlers Anthony Goicolea. 2018 schuf er das New Yorker LGBTQ-Memorial im Hudson River Park: eine interaktive Bronze- und Glas-Installation zum Gedenken an den Kampf für Gleichberechtigung in der queeren Gemeinschaft und zu Ehren der Opfer von Hass und Intoleranz. In seinen in der Ausstellung „Versuch über die Schönheit“ gezeigten Porträts zeigt Goicolea humorvolle sowie erschreckende Szenarien, in denen er oft Ereignisse der Kindheit und Adoleszenz durchspielt, aber gleichzeitig den Narzissmus und die Selbstspiegelung des „schönen Jünglings“ aufs Korn nimmt.
Dass Schönheit auch etwas mit Pathos und Schmerz zu tun haben kann, thematisiert der israelische Künstler Erez Israeli. In dem Video „Untitled“ (2004) näht er sich Blumen an seinen nackten Oberkörper. In Israel symbolisieren sie Trauerkränze für verstorbene Soldaten. Erez Israelis Körper wird Teil des Kranzes, und für einen Moment ist er der tote Soldat, auf dessen Körper die Blumen gelegt wurden. Danach reißt er die Blütenblätter ab und hinterlässt nur die Staubblätter, die wie Schusswunden aussehen. Schließlich reißt er auch diese ab, und zurück bleibt eine mit roten Flecken vernarbte Brust. Schmerzhaft und poetisch zugleich, umreißt er Schönheit und Vergänglichkeit, Erinnerung und Trauer.
Maria Loboda wiederum erforscht in ihrer Installation „Ignore the returned love letters on Marcel Breuers Wassily Armchair“ die Schönheit von Design und die Enttäuschung zwischenmenschlicher Beziehungen. In Lobodas Werken spielen kulturelle Codes, bildliche Zeichen und die Grammatik verschiedener Materialien eine wichtige Rolle. Als eine Art zeitgenössische Archäologie wirken die multimedialen Arbeiten subversiv und kritisch gegenüber Machtstrukturen. Ihre Forschungen entstammen den Bereichen Poesie und Geschichte. Sie führen zu einer formalen Gleichsetzung von Sprache und Materialität, deren Wechselwirkungen Loboda untersucht, um zu hinterfragen, was sie jenseits ihrer üblichen Lesarten ausdrücken.
Schönheit und Vergänglichkeit im streng-formalen Sinn greift Peter Miller mit seiner Arbeit „Kronleuchter“ auf, für die er die Mittel und Techniken des Fotograms nutzt: Er ummantelt einen antiken, aber völlig intakten Kronleuchter in der Dunkelkammer mit Fotopapier und schaltet ihn kurz an. Das Licht wird durch die Kristalle gebrochen, belichtet das Fotopapier und hinterlässt ein Spiel aus bunten Spektralfarben. Der Kronleuchter porträtiert sich sozusagen selbst. Seine Schönheit verfremdet sich und kreiert neue, eigene Schönheit.
Marianne Vlaschits wiederum erschafft SciFi-Welten, in denen Fauna und Flora teils nur mehr schwer voneinander zu unterscheiden sind. Vor unseren Augen tun sich Körperwelten im wahrsten Sinne des Wortes auf. Ihre Öffnungen und Auswüchse interagieren, (außer)irdisches Leben sprießt, fließt und gedeiht. Vlaschits breitet eine fantastische Szenerie aus, in der Wesens- und Seinsformen ein lustvolles Miteinander zelebrieren. Gleichermaßen fremd wie vertraut pulsiert hier ein traumhaft entrückter, zeitlich wie räumlich schwer greifbarer Schwellenort in all seiner Lebhaftigkeit. Diese Fluidität der Begrifflichkeiten und Materialien, der komplexen Geschichten des Wollens, die hier mitschwingen, eröffnen eine Perspektive auf das vorstellbare Unvorstellbare, den Reiz und die Schönheit des Überirdischen.
Rosemarie Trockel erinnert uns in ihrer Arbeit dagegen an den Umstand, dass Schönheit ständiger Veränderungen unterliegt und diese Veränderungen mitunter schmerzhafte individuelle, aber auch generelle Verwerfungen mit sich bringen kann. Was gestern als ästhetischer Gradmesser und Konsens galt, wird morgen vielleicht nur noch als purer Kitsch wahrgenommen. Was lange als abstoßend und hässlich empfunden wurde, wird möglicherweise zum neuen Standard und Inbegriff des Schönen. Trockels ironisches Porträt eines Galeristen mit vermeintlich abgeschnittenem Ohr lässt uns sofort an Vincent van Gogh denken, der genau für das steht: Die Geburt einer neuen Schönheit, die keiner wahrhaben will und auf erbitterte Ablehnung stößt, bevor sie sich doch irgendwann durchsetzt. Der Künstler, allerdings, ist dabei längst dem Wahnsinn verfallen.
Marcel Odenbachs Videoarbeit „Zu schön, um wahr zu sein“ thematisiert schließlich ganz unmittelbar die Funktion und Rolle, die der Hinwendung zum Schönen in Zeiten politischer Grausamkeiten und Repression zukommen kann. Sein Video ist in Caracas, Venezuela, zu Beginn der Niederschlagung des Volksaufstands entstanden. Er filmte Teilnehmerinnen eines Schönheitswettbewerbs und ließ sie das Objektiv der Kamera küssen. Im Augenblick des Kusses verklärt und vernebelt sich das Bild. Unterschnitten werden die Aufnahmen mit Szenen von Polizei- und Militärgewalt, mit der gegen die aufkeimenden Unruhen vorgegangen wurde. Das Schöne als Weichzeichner, als Filter und Ablenkung, mit dem die Brutalität ausgeblendet wird -auch das gehört zur DNA von Schönheit.
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