EMMANUEL BORNSTEIN
Claims
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27. April – 5. Juni 2021
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Öffnungszeiten
Di–Fr, 12 Uhr–18 Uhr
Sa, 11 Uhr–15 Uhr
Vom 27. April bis 5. Juni 2021 präsentiert Crone Wien die Einzelausstellung „Claims“ des deutsch-französischen Künstlers Emmanuel Bornstein. Zu sehen sind 14 neue Gemälde, in denen sich der Künstler direkt auf seine Biografie, seine Familie und seine jüdische Herkunft bezieht. Die Schriftstellerin Deborah Feldman bespricht die Ausstellung in ihrem folgenden Essay.
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Der Tod war die letzte Pflicht, wie Jean Amery konstatierte, daher sind diejenigen, die weiter lebten, dieser Pflicht nicht nachgekommen, und es ist dieses Versäumnis, das sie und die nachfolgenden Generationen verfolgen sollte. Dies ist das Verbrechen des „Aufspringens“, wie Imre Kertesz schon schrieb: „Siehe da, ich bin doch aufgesprungen, ich bin sogar noch immer da, obwohl ich nicht weiß, warum...“ und dabei den Satz aus Miklos Radnotis Gedicht widerhallen ließ:
Er stürzte neben mir. Sein Leib, gekrümmt, ward straff
wie eine Seite straff wird vom Zerspringen,
Genickschuß. Bleib nur ruhig liegen, dacht ich,
die Kugel wird ein gleiches Los dir bringen,
Geduld bringt Rosen – ja des Tods, du Tor!
DER SPRINGT NOCH AUF! Schrie gellend eine Stimme
Schlamm, blutvermischt, trocknet an meinem Ohr.
Der springt noch auf. Dies scheint das schreckliche Vergehen zu sein, die Schuld, die diesem unaufhaltsamen menschlichen Drang zum Leben innewohnt, die sogar Kertesz in seiner Entscheidung, sich nicht fortzupflanzen, anerkennt, um dabei zu verhindern, dass die mit dem Überleben verbundener „Schande“ weitergegeben wird.
Der springt noch auf. Eine neue Generation springt auf, ja, immer noch springt der menschliche Geist reflexartig aus dem Schlamm, überzogen von der Schuld und Scham, die die Väter weitergaben, genauso, wie ein Kind, umhüllt vom Fruchtwasser seiner Mutter, auf die Welt kommt. Aber dieser Schlamm kann niemals gereinigt werden, er ist untrennbar mit dem Körper verbunden, er ist in die Tiefen des Geistes eingedrungen.
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Und was ist mit der dritten Generation, für die dieses Erbe des „mit Schlamm vermischten Bluts“ so umstritten ist? Ein Erbe für diejenigen, die sich über ihr Recht, diese Last zu tragen, gar nicht sicher sind, deren Beziehung zu dieser Schuld ebenfalls von Schuld geprägt ist, deren Scham delegitimiert und diskreditiert wird. Und doch stellen die Aufgesprungenen fest, dass die Vergangenheit ihren Fall nicht ruhen lässt, auch wenn der Anspruch der Gegenwart in Frage gestellt wird.
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Emmanuel Bornstein führt diese kraftvolle Abrechnung zwischen Vorfahren und Nachkommen durch, auch wenn er die Unmöglichkeit einräumt, die Ursprünge dieser Auseinandersetzung auszuloten, dieses Ineinandergreifen, das manchmal wie eine Umarmung und andermal wie ein Todesgriff wirkt. Vergangenheit und Gegenwart scheinen in ein Gefecht verwickelt zu sein, das älter ist als die beiden selbst und dennoch für ihre Existenz wesentlich. Es ist ein primitiver, unnachgiebiger Wettkampf, bei dem keiner der Gegner kapitulieren darf, weil sie befürchten, dass dies zur Zerstörung beider führen würde.
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Diejenigen, die für den Tod selektiert wurden, sind vom Schlamm gereinigt, aber diejenigen, die vom Tod gekeult wurden, sind Antragsteller und Befragte zugleich. Und wie die folgenden Generationen ebenfalls aus dem Schlamm gekeult wurden, um die Scham des Lebens zu atmen, brechen sie unter dieser Last entzwei: Da ist ein Selbst, das Anspruch auf ein Erbe des Leidens erhebt, und da ist das Andere, das dieses Erbe ablehnt. In den beiden Selbstporträts des Künstlers (Culled I und Culled II) wird dieses Duell verinnerlicht, die Zweiteilung wird zur Gefahr, mit der sich spätere Generationen werden konfrontiert sehen, wenn die Angelegenheit nun nicht endgültig geklärt wird. In Culled I steckt der Künstler in einem Raum, wodurch das Licht nicht einzudringen vermag. Sein Rücken ist zu dessen Quelle, sein Geist zwischen den Zeiten gefroren, sein Blick nur von dem Schlamm entgegnet, aus dem er sprang, aber nicht entkam. In Culled II verwendet der Künstler eine ungewöhnlich saturierte Technik, bei der Schichten auf Schichten von greifbarem, zitternden Rot aufgebaut werden, hinter denen die Figur nur ein Schatten ist, die Aufopferung seiner Lebensessenz für eine schmerzhafte und einsame Freiheit trauernd. Trotzdem ist dieses Gemälde das pochende Herz einer Serie, die sich ansonsten hauptsächlich mit den Geistern verborgener Gefilde beschäftigt; es bleibt eine intime und leidenschaftliche Bekennung zum Leben, selbst aus einer Distanz zu ihm, die zu überwinden unmöglich erscheint.
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Wie wähle man zwischen diesen zwei Selbst, wenn die Entscheidung den Verrat an jenen Geistern bedeute, die aus einem Raum zwischen Welten hervorgekommen sind, um dem Künstler das Geschenk der menschlichen Liebe zu machen - aber ihm auch die Sprache des Vergessens beigebracht haben, die Fähigkeit, auch in Finsternis zu sehen, gaben, die Dämpfe des Todes in seine Seele hauchten? Sich vom Schlamm zu reinigen, heißt, denjenigen den Rücken zu zukehren, die ihn in das Leben setzten, an dem es sich winden, quälen aber auch berauschen lässt.
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Der Künstler greift stattdessen nach denen, die pflichtbewusst in den Schlamm gesunken waren, er greift nach den Geistern, die von der Scham befreit wurden, er stößt seine Hand in die Naht zwischen den Welten und damit in die eigene Entzweiteilung, und er fordert diese Toten dazu auf, mit den Lebenden zusammen zu stehen. Auch von ihnen wird das Aufspringen verlangt, wenn nicht aus dem Schlamm, dann aus der Vergessenheit. Springt auf, sagt er, und da sind sie, als wären sie von und durch ihn wiedergeboren, und sie erheben keinen Anspruch an ihn, und auch er legt seinen Fall nieder.
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Emmanuel Bornstein wurde 1986 in Toulouse in Frankreich geboren und lebt seit 2009 in Berlin. Er studierte zunächst Malerei an der Ecole National Supérieure des Beaux Arts de Paris, später an der Universität der Künste in Berlin Malerei. Seine Arbeiten befinden sich in zahlreichen privaten und institutionellen Sammlungen in New York, Paris, Berlin, Wien, Madrid und Istanbul. Das Musée Départemental de la Résistance in Toulouse zeigt derzeit seine Einzelausstellung „Three Letters“, ab Juli 2021 folgt eine große Überblicksschau seiner Werke im Château Laréole in Toulouse sowie ab Februar 2022 eine Einzelaustellung in der Kunsthalle Rostock.
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Deborah Feldman wurde 1986 in New York geboren und lebt seit 2014 in Berlin. Ihr autobiografischer Debutroman „Unorthodox“ erschien 2012 und wurde weltweit zum Bestseller. 2020 wurde er als Netflix-Serie verfilmt, die bisher über 200 Millionen Menschen gesehen haben. 2015 erschien ihr Roman „Exodus: A Memoire“, 2018 war sie Protagonistin des Dokumentarfilms „#Female Pleasure“.
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