ASHLEY HANS SCHEIRL
Currencies of De* Capital Delirium
30. April – 20. Juni 2021
Öffnungszeiten
Di–So
12 Uhr–18 Uhr
Crone Berlin zeigt im Rahmen des diesjährigen Gallery Weekend eine Einzelausstellung der Künstler*in Ashley Hans Scheirl, die gemeinsam mit ihrer Partnerin Jakob Lena Knebl den österreichischen Pavillon bei der Venedig Biennale 2022 bespielen wird.
Malereien, Skulpturen und Zeichnungen verschmelzen in den Galerieräumen zu einer raumfüllenden Installation. Sie führen den Besucher in eine überbordende, wahnwitzig anmutende Traumwelt. Konsum und Sinnsuche, Restriktion und Freiheit, Gier und Entsagung, Exzess und Vereinsamung, Aufbegehren und Resignation, Identität und Transformation, Geschlecht und Hierarchie, individueller Lebensentwurf und globale Verwerfungsökonomie - all das trifft hier krachend aufeinander und mündet im digital-anarchistisch-neugeordnet-gesteuerten Urknall, oder zumindest in einer neuen Weltwährung, die der Ausstellung den Titel gibt: "Currencies of De*Capital Delirium".
Angela, Angela Scheirl, Angela Hans, Angel Hans, Zeze Hans, Ah, A A A A, Hans Scheirl, Hans, Hansi, Hansda, Hans von S/hit, Scheirl, Ashley Hans Scheirl wurde 1956 in Salzburg geboren. Er/Sie lebt in Wien. Die Kunst, die er/sie in den Neunzigerjahren als Teil der Dyke-Subkultur schuf, trug zur Entwicklung einer konzeptuellen Praxis bei, die über die gleichwertig verwendeten Mittel des experimentellen Kinos, der Malerei, Objektkunst, öffentlicher Aktionen, Performance und Musik permanent im Austausch mit der Wiener Kunstszene blieb. In der Tat verbindet Scheirl solcherart "Disziplinartechniken" im Dienste des Modells einer lesbisch queeren Sexualität. Der Übergang von der Bildenden Kunst in eine neue Kategorie wurde in den Jahren, in denen Scheirl zwischen London, Wien und New York pendelte, von einer durch Testosteroninjektionen gestützten Metamorphose seines/ ihres Körpers begleitet. Scheirls wechselnde Namen spiegeln diesen permanenten Wandel, dieses Nicht-Stillstehen. Seine/Ihre Selbstdarstellungen im Medium der Malerei, ermutigen Angela, nunmehr Hans, nach vielen Experimenten mit Super-8 und Video ihr/sein maskulines Aussehen von Neuem zu emanzipieren. So wurde Ashley ein/e Maler_in, die ihren/seinen androgynen Habitus sorgsam kultiviert.*
"Um monolithische Vorstellungen des Selbst aufzugeben und eine offene Haltung in Bezug auf den Anderen oder die Andere zu kultivieren, müssen wir den innerpersonalen Anderen Handlungskompetenzen zugestehen. Ein Kunstwerk, das sich nachdrücklich als lebendige Dynamik innerpersonaler Ausformungen des Selbst darstellt, spiegelt die Dynamik des Zusehens wider und lädt gleichzeitig zur Interaktion ein. Interpersonelles Handeln muss also immer intrapersonelle Handlungskompetenzen einbeziehen und stets seine Beziehung zu Tod, Verlust und Werden".
Dieses Statement stammt aus Hans Scheirls Masterarbeit "painting's inter/agency" aus dem Jahre 2003. Angeregt von Johnny Golding, auch bekannt als Johnny de Philo, begann Scheirl sich mit Jean-François Lyotards Buch "Économie libidinale" zu beschäftigen, das 1974 erschienen ist. In ihrem Text "To Tremble the Ejaculate" analysiert de Philo "Dandy Dust" (1998), jenen queeren Kultfilm Scheirls, der auf vielen internationalen Festivals lief. Unterschwellig kommt de Philo nicht nur immer wieder zum Thema der polymorphen Perversion zurück, das Lyotard in seinem Buch bespricht, sondern auch zum Cyborg, wie ihn die amerikanische Autorin Donna Haraway zeichnet. "Dandy Dust" ist Ausdruck der Sehnsucht nach einem konstant veränderlichen Körper, der sich - wie die auf Hell-Dunkel-Kontraste reagierende Körnigkeit des Super-8-Films oder auch Videopixel - allen Möglichkeiten und Begegnungen mit Menschen anpassen kann. Diesem metonymischen Akt, bei dem der Teil zum Ganzen wird (so wie in der Poesie ein Segel für das ganze Schiff stehen kann), liegt laut Johnny de Philo die Abstraktionskraft der kapitalistischen Wirtschaft nicht fern. Geld und Pixel repräsentieren und gewährleisten das, was existiert, sind zugleich aber auch Zeichen dessen, was nicht existiert. In ihren/seinen Gemälden nach 2016, in ihren/seinen Beiträgen für die documenta 14 (2017) und die Lyon Biennale 2019 (zusammen mit Jakob Lena Knebl), mit ihrer/seiner Verhüllung des Wiener Rathauses (ebenfalls 2019) und ihren/seinen Ausstellungen im Kunsthaus Bregenz oder in der Galerie Crone Wien, nimmt Scheirl Lyotards Buch immer wieder auf, nun aus Ashleys Perspektive, während davor Hans über die Ausführung der Bilder wachte.
Diesen Weg setzt Scheirl nun auch in ihrer/seiner Ausstellung bei Crone Berlin im Rahmen des Gallery Weekends fort: In seinen/ihren neuen Gemälden formieren sich Körperteile, Piktogramme und Comic-Elemente zu einer undefinierten Welt. Perspektivische Verschränkungen und absurde Paradoxien bestimmen die surrealen Bildwelten, in denen das Malerische mit digitaler Visualität verflochten wird.
Die ungelöste Spannung des grenzüberschreitenden Einsatzes verschiedener Ausdrucksformen geht einher mit Scheirls absurd-obszöner Ikonographie. Körperöffnungen, Exkremente und Geschlechtsteile werden in dislozierter, fragmentierter und monumentalisierter Form auf die Leinwand gebannt. Kritisch und doch humorvoll setzt die Künstler*in tabuisierte Objekte in Szene, die neben Statussymbolen wie Autos, Kleidung und Luxusgegenständen die Gemälde für sich einnehmen. Visionen und Perversionen, unschuldige Wünsche, verbotene Gelüste und irrwitzige Wahnvorstellungen werden schonungslos festgehalten. Wie im Traum wird der Sinn durch rätselhafte Zeichen, zerstückelte Objekte und ungelöste Kontraste zersetzt. Aus all diesen medialen, stilistischen und thematischen Überschreitungen erwächst eine Welt, in der sich Ordnung und Unordnung durchdringen. Ein „Chaosmos“, in dem – frei nach James Joyce - die Dualität aus Begrenzung und Unendlichkeit, Chaos und Kosmos aufgehoben wird und sich die beiden Pole auf synthetische Art und Weise miteinander verbinden.
Ashley Hans Scheirls Malerei schreibt sich somit ein in den Diskurs der Postmoderne aber auch des Post-Digital-Age, in dem große Erzählungen Platz machen für eine pluralistische, chaotische und zufällige Welt. In einer Zeit, in der es keine fixierten Begriffe und Normen mehr geben kann, wird die Identität als die erlebte innere Einheit des Selbst ersetzt durch einen Subjektbegriff, der geprägt ist von Transformation, Fragmentierung und Heterogenisierung. Einer Illusion des freien Willens folgend erscheint der Körper als Variable, die beliebig verändert werden kann.
Ashley Hans Scheirl wurde 1956 in Salzburg geboren. Sie/ Er nahm 2017 an der documenta 14 in Kassel und Athen teil und wird Österreich 2022 auf der Biennale di Venezia vertreten (zusammen mit ihrer/seiner Partnerin Jakob Lena Knebl). 2023 wird das Palais de Tokyo in Paris Scheirl und Knebl eine große Duoausstellung widmen. Scheirl lebte 16 Jahre in London, wo sie/er bereits Ende der 1980er-Jahre durch ihre/seine experimentellen Film-und Videoarbeiten internationale Bekanntheit erlangte. Seit den späten 1990er Jahren wendet sie/er sich wieder verstärkt der Malerei zu. Ihre/Seine Arbeiten waren unter anderem im Museum of Modern Art in New York, in der Kunsthalle Düsseldorf, im Kunsthaus Bregenz, auf der Lyon Biennale, im Kunstverein Salzburg sowie im Grazer Künstlerhaus zu sehen. Seit 2006 unterrichtet Scheirl an der Akademie der Bildenden Künste in Wien als Professor*in für kontextuelle Malerei.
* Pierre Bal-Blanc, "Die Linke Hand", veröffentlicht in: "Das documenta 14: Daybook", Herausgeber: Quinn Latimer und Adam Szymczyk, Prestel Verlag, München, Deutschland, 2017, sowie "Ashley Hans Scheirl", Herausgeber: Sandro Droschl, Künstlerhaus, Halle für Kunst & Medien, Graz, Österreich, 2018